Die erste Nennung des Ortes Melchingen
(Erschienen 1972 im Melchinger Heimatbuch, Text von Egon Viesel)
Melchingen wird zum ersten Mal im Jahr 772 genannt, und zwar nicht in einer Einzelurkunde, sondern im sogenannten Lorscher Kodex (Codex Laureshamensis). Dies ist ein Buch, in dem das Kloster Lorsch u. a. einen Großteil seiner Schenkungsurkunden verzeichnen und, teilweise erheblich verkürzt, abschreiben ließ (Kopialbuch). Es wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts abgefaßt; die Urkunden, die darin abgeschrieben wurden, gehörten jedoch in einen früheren Zeitraum, nämlich in die ersten zweieinhalb Jahrhunderte nach der Gründung des Klosters. Der Kodex befindet sich jetzt im Hauptstaatsarchiv in München.
Das Kloster Lorsch, von dem heute nur noch einige Baureste übrig sind, liegt an der Bergstraße, halbwegs zwischen Mannheim und Darmstadt. Es wurde 764 gegründet. Später wurden die Reliquien des hl. Nazarius dorthin überführt. Das löste eine starke Schenkungstätigkeit aus, und so erhielt das Kloster Besitz vom Niederrhein bis ins Gebiet der Alpen. Bei uns im Süden verzahnt sich sein Besitz mit dem der Klöster St. Gallen und Reichenau.
Der Text der Eintragung, die Melchingen betrifft, lautet folgendermaßen 1 (mit Auflösung der Abkürzungen und zwei Ergänzungen): (Donatio) Bleonis (in) Burchinger marca.
In Christi nomine sub die 15. Kalendas octobris anno 4. Karoli regis ego Bleon et filius meus Otto donamus ad sanctam Nazarium martyrem, qui requiescit in corpore in monasterio Laurissamensi, ubi venerabilis Gundelandus abbas praeesse videtur, donatumque in perpetuum esse volumus et promptissima voluntate confirmamus in pago Alemannorum in Burichinger marca et in Burdlaidingen et in Megingen et in Merioldingen et Mulichingen et Willimundingen et Gancgingen et Gauzolfingen quidquid habere videmur, stipulatione subnixa. Actum in monasterio Laurisham tempore, quo supra.
In der Übersetzung heißt das (mit Umrechnung der Datumsangabe). (Schenkung) Bleons (in) Burchinger Mark. In Christi Namen am Tag 15.Kalendas octobris (17. September) des Jahres 4 des Königs Karl (772). Ich Bleon und mein Sohn Otto schenken dem hl. Märtyrer Nazarius, dessen Leib im Kloster Lorsch ruht, dem der ehrwürdige Abt Gundelandus vorsteht, und wollen es für immer geschenkt haben, wie wir es völlig freiwillig bestätigen. Im Alemannengau, in der Burichinger Mark und in Burlaidingen, Megingen, Merioldingen, Mulichingen, Willimundingen, Gancgingen und Gauzolfingen, was wir dort bekanntlich besitzen, und festigen dies durch Handgelöbnis. Geschehen im Kloster Lorsch unter obigem Datum.
Zusammen mit Melchingen sind also noch mehrere Orte aus der nächsten Umgebung genannt, von denen aber zwei längst verschwunden sind „Megingen“ bezieht sich auf den abgegangenen Ort Maigingen zwischen Burladingen und Gauselfingen, Merioldingen“ auf den ehemaligen Ort Mertingen, der heute nur noch in einem Flurnamen zwischen Melchingen und Stetten u. H. nachweisbar ist. Wo der Ort Burichingen gelegen hat, ist unbekannt; außerdem ist die Bedeutung des Wortes marca nicht ganz geklärt. Für Burladingen, Genkingen und Gauselfingen ist es ebenfalls die erste Nennung. Willmandingen erscheint dagegen schon in einer Urkunde des Klosters St. Gallen vom 10. Juli 772.
Bei der Wortform Mulichingen nimmt man i. allg. eine Verschreibung für Malichingen an, weil diese Form vom 11. Jahrhundert an regelmäßig in den Urkunden erscheint. Die vermutlich geringe Ortskenntnis der Lorscher Mönche macht die Annahme einer Verschreibung auch durchaus möglich. Danach würde dem Ortsnamen Melchingen der Personenname Malicho zugrunde liegen.
Über den Schenker Bleon, der noch in anderen Urkunden auftaucht, und Geinen Sohn ist uns weiter nichts bekannt; auch nicht über das Motiv der Schenkung. Es können religiöse und politische Gründe eine Rolle gespielt haben.
Zum Schluß sei noch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die erste Nennung eines Ortes in unserem Gebiet selbstverständlich nicht zusammenfällt mit seiner Entstehung oder Gründung und daß sie darüber wenig besagt. Die verhältnismäßig frühe Nennung Melchingens ist ein Glücksfall, der nur der Tatsache der Schenkung und der Aufzeichnung durch Mönche in einem Kloster zu verdanken ist. Sicherlich sind Erpfingen, Ringingen und Salmendingen (als -ingen-Orte) gleich alt, obwohl sie später genannt werden: Erpfingen 775, Ringingen 799, Salmendingen 1245. Bei Stetten u. H. (erstmals genannt 1275) ist dagegen die spätere Entstehung s!cher; die zahlreichen Stetten gehören zu den Ausbauorten, d. h. sie wurden von den -ingen-Orten aus gegründet (Stetten u. H. wohl von Merioldingen aus). Dasselbe gilt für Talheim, obwohl dieser Ort früher genannt ist als alle umliegenden, nämlich 765, früher also auch als Mössingen (774), von wo aus wohl seine Gründung erfolgte. Der am frühesten genannte Ort des Kreises Hechingen ist Glatt (736), während Empfingen und Fischingen ebenfalls wie Melchingen im Jahr 1972 ihre 1200-Jahrfeier begehen können.
1) Bossert, Gustav: Württembergisches aus dem Codex Laureshamensis, den Traditiones Fuldenses und aus Weißenburger Quellen (Württembergische Geschichtsquellen, Bd. 2) Stuttgart 1895, S. 168, Nr. 340