Das Bernhardus-Heiligtum
(Erschienen 1972 im Melchinger Heimatbuch, Text von A. Waldenspul)
Beim Schließen der Kapellentür fällt uns ein Ziel ins Auge, das in Kilometerweite aufleuchtet und wie Klebstoff an der Seele hängen bleibt. Die Leute geben ihm den Namen „Bernharduskapelle“. Auf freiem Felde am Weg nach Ringingen stand einstmals von Bäumen beschattet das kleine Heiligtum, über dessen Ursprung keine Akten vorliegen. Es war schon dort, als das alte Fleckenbuch von Melchingen um 1450 geschrieben wurde. Diese hochwichtige Gemeinde-Urkunde hat der letzte Weltkrieg verschlungen. Da war zu lesen: „es geht ein weg vom käpele auf den bühl“. Es war dem Ordensstifter St. Bernhard gewidmet, vielleicht deswegen, weil ein Zisterzienserkloster (als nächstes käme Bebenhausen in Frage) in dieser Albgegend begütert war. 1661 wird die Feldkapelle restauriert, 1726 hat Maurer Uland daran gearbeitet und Schlosser Hans Martin Hau einen neuen Opferstock aufgestellt. So war man besorgt um den Fortbestand des kleinen Heiligtums.
Dann kommt die Zeit und der Geist der Aufklärung, wo die Maßregeln des Konstanzer Generalvikars Wessenberg und seiner Gesinnungsgetreuen gegen Wallfahrten und andere kirchliche Gebräuche und Einrichtungen einschritten und die Beseitigung vieler Kapellen forderten, die innerhalb der Gemeinden oder in geringer Entfernung von denselben besonders an Sonntagnachmittagen gerne von den Leuten besucht wurden. Vielfach geschah die Beseitigung ganz gegen den Willen des Volkes oder wurde sogar ganz verhindert. Auch die Bernharduskapelle in Melchingen fiel den Aufklärungsbestrebungen 1823 zum Opfer, zumal der Ortspfarrer Grausbeck als intimer Freund und Gesinnungsgenosse Wessenbergs fanatisch für alle Neuerungen eintrat. Auf dem öden Kapellenplatz läßt dann der ehrsame Bürger Georg Viesel auf seine Kosten 1847 einen Steinbildstock aufstellen mit einer Nische, in der die ehemalige hölzerne Kapellenstatue St. Bernhard Aufstellung fand. In einer Urkunde ersucht der Stifter alle Bürger: ,,in späteren Zeiten dieses Bildstöckle, Bild und Baumpflanzung zu schützen, zu unterhalten, und wenn nötig zu renovieren und dadurch den frommen Sinn der gegenwärtigen Generation in der Gemeinde auch später zu betätigen“. – 1859 wird das Bild auf Kosten des Georg Viesel wieder gefaßt durch Bildhauer Karl Knaus, Sohn des Lehrers Joseph Knaus. Noch ein weiteres Mal läßt die Witwe des inzwischen verstorbenen Stifters Bild und Bildstock erneuern. Da wird nun berichtet: ,,Während der Zeit der Renovation knickte ein mit einem orkanartigen Sturm verbundenen Gewitter die Krone der Bäume und warf dieselben auf die Straße und schleuderte dicke Äste viele Schritte weit fort.“ Darum sind die beiden Bäume viele Jahre nur noch Ruinen und Zerrbilder von einst schlanken und stolzen Pappeln gewesen, bis dann ein Gewittersturm sie niederwarf. Um 1950 wurde durch Kunstmaler Albert Bausch, Melchingen der Bildstock und das alte Holzbild zunftgerecht gefaßt und instandgesetzt, veranlaßt durch eine Spende, die im Opferkasten gefunden wurde mit der Beischrift: ,,dem hl. Bernhard ein neues Kleid“.