Vor- und frühgeschichtliches Melchingen

(Erschienen 1972 im Melchinger Heimatbuch, Text von Egon Viesel)

Die Geschichte des Menschen läßt sich im Gebiet um Melchingen bis in die frühesten stammesgeschichtlichen Entwicklungsstufen zurückver­folgen.

Aus dem Lehm der „ Erzlöcher“ bei Melchingen und Salmendingen (Flurbereich „Aufberg“-,,Burghalde“) kamen Zähne zutage, die eine Zwischenstellung zwischen denen des Schimpansen und denen des Menschen einnehmen. Sie stammen von einem Menschenaffen (Dryo­pithecus), der zur Zeit des (unteren) Pliozäns, der jüngsten Stufe des Tertiärs (vor etwa 60 Millionen -600 000 Jahren) in unserer Gegend lebte. Die in der Jurazeit (vor etwa 175-140 Millionen Jahren) vom Meer abgelagerten Schichten waren damals im Zuge der Auffaltung der Alpen längst emporgehoben worden, das Klima war warm, die Pflanzen­und Tierwelt hatte südländisches Gepräge. Die Überreste der damali­gen Tierwelt sind bei uns im allgemeinen verschwunden und nur dann erhalten, wenn sie in die Karstspalten des Jurauntergrundes einge­schwemmt und dort in Verwitterungslehm eingepackt worden sind. Durch einen glücklichen Zufall wurden sie bei uns gefunden, als man im vorigen Jahrhundert die in diesen Spalten besonders häufigen Bohn­erze zum Zweck der Eisenverhüttung ausgrub. Neben einem Oberarm­knochen, der in Frankreich gefunden wurde, sind diese Mahlzähne in ganz Europa die einzigen Funde von einer so frühen Vorform des Men­schen. Vergleichbares kennen wir sonst nur aus Hinterindien, China und Südafrika.

Auf den Spuren des denkenden und schaffenden Menschen sind wir aber erst Jahrhunderttausende später. 1941 führte Oberpostrat Dr. Peters in der „Sommerkirchhöhle“ (am oberen „Hirschental“, nahe dem Weg von Melchingen nach Erpfingen) eine erste Probegrabung durch, 1942 folgte eine weitere. Die Funde waren recht zahlreich, sind aber im Krieg fast vollständig verlorengegangen. Die unterste Kulturschicht, die ergraben wurde, enthielt Reste u. a. vom Ren, vom Hirsch und vom Höhlenbären. Allein schon diese Tierarten zeigen, daß wir uns jetzt in einer Zeit mit einem anderen Klima befinden: Es ist kalt, weite Teile Europas sind vom Eis bedeckt. Aber der Mensch behauptet sich und schiebt sich immer mehr in den Vordergrund; sein Zeitalter (Quartär) ist angebrochen.

Auf Grund der spärlichen Bruchstücke von Werkzeugen (Feuerstein, Knochen) ordnete Peters die Schicht der jüngeren Altsteinzeit zu (Oberpaläolithikum, etwa 85000-40000 Jahre v. Chr.). In dieser letzten Pe­riode der Eiszeit war der Mensch noch Jäger und Sammler.

Über dieser Schicht fand sich eine andere, die Steinbeile und Topfreste enthielt. Sie ist der Jungsteinzeit (Neolithikum, etwa 3500-2000 Jahre v. Chr.) zuzuordnen, als der Mensch nach dem Rückgang des Eises und dem Einzug eines gemäßigten Klimas zu Ackerbau und Viehzucht über­gegangen war. Einen Feuersteinschaber aus dieser Zeit hatte man schon früher in Melchingen gefunden, und eventuelle weitere Grabun­gen in der „Sommerkirchhöhle“ ließen neue bedeutsame Funde er­hoffen.

In der Folgezeit verwendeten die Menschen mehr und mehr Metall zunächst Bronze. Die Leute der Bronzezeit (etwa 1800-1200Jahre v. Chr.) bestatteten ihre Toten in Hügelgräbern. Grabhügel waren früher auf der Alb recht häufig zu finden, verschwinden aber durch die Bearbeitung des Geländes, besonders mit Maschinen, immer mehr. Ein Fund aus einem solchen bronzezeitlichen Grabhügel bei Melchingen wird in der Sammlung Sigmaringen aufbewahrt; die genaue Fundstelle ist unbe­kannt.

Siedlungsreste aus der Spätbronzezeit (Urnenfelderkultur, etwa 1200 bis 800 Jahre v. Chr.) wurden in einem Steinbruch östlich von Melchin­gen, zwischen „Brühl“ und „Köbele“ gefunden.

In der nachfolgenden Hallstattkultur (Früheisenzeit, etwa 800-400 Jahre v. Chr.) verdrängte das Eisen die Bronze. Die Toten wurden meistens wieder in Hügelgräbern beigesetzt. In diese Zeit scheinen zwei Grab­hügel bei der Bernhardskapelle, südwestlich vom Ort, zu gehören, die schon vor der Jahrhundertwende beinahe ganz verschwunden waren. Weiter werden erwähnt Grabhügel auf dem „Pfaffenberg“, bei der Lauchertquelle, am „ Köbele“ und in der „ Mühlhalde“. Insgesamt hat Zingeler in seiner Archäologischen Karte von Hohenzollern (1894) sech­zehn Grabhügel auf Melchinger Gemarkung eingezeichnet. Siedlungsspuren aus der Hallstattzeit traten zutage in einem kleinen Steinbruch am Nordrand des „Frenzentals“, nordöstlich des Dorfs.

Die La-Tène-Zeit (Späteisenzeit, etwa 400 bis Chr. Geb.), in welcher die Kelten unser Gebiet bewohnten, ist in Melchingen durch schüssel­förmige Goldmünzen (sogenannte Regenbogenschüsselchen) bezeugt. Nachdem die Hauptmasse der Kelten nach Südwesten abgewandert war, besetzten die Römer das dünnbesiedelte Gebiet des heutigen Baden-Württemberg. Zunächst bildete die Donau die Nordgrenze des römischen Reichs. Bald aber verlegte man die Grenze vor bis an den Albrand. Sie wurde markiert durch den sogenannten Alblimes, eine Straße, die von Laiz aus über Winterlingen nach Burladingen führt, von da aus nordostwärts unweit des Albrandes hinzieht und auf bayeri­schem Gebiet die Donau wieder erreicht. Diese Straße diente nicht in erster Linie dem Verkehr, sondern mehr der Überwachung der Pässe zwischen Unterland und Albhochfläche. Nach Funden aus dem Kastell Burladingen dürfte der Alblimes um 80 n. Chr. angelegt worden sein. Um 110 n. Chr. verlor er aber bereits wieder seine Bedeutung, weil inzwischen die römische Grenze bis an den Neckar vorveriegt worden war.

Der Alblimes führt auch durch Melchingen. Vom Kasteil Burladingen – es liegt links an der Straße nach Hausen i. K., wo heute das Gebäude der Bodenseewasserversorgung steht – verläuft er durch das „ Tiefen­tal“ bis zur Ringinger Kapelle. Von dort zieht er quer durch die Felder herüber zum Melchinger „Steigle“ (also nicht, wie in der Karte 1: 25000 eingezeichnet, in Richtung Salmendingen). Heute ist von der ehemali­gen Wegführung in diesem Abschnitt zwar nichts mehr zu sehen, aber 1530 war er als Fußweg noch erhalten 1. Von der „Burghalde“ an ist er wieder deutlich erkennbar. Er zieht den „Pfattenweg“ herunter, schnei­det das Dorf in der Nähe der Kirche und erklettert in der „ Esel steig“ den linksseitigen Talrand der Lauchert. Von dort führt er, zunächst nicht mehr eindeutig erkennbar, nördlich am „Köbele“ vorbei durch die ,,Viehstelle“ in Richtung Großengstingen, wo er in der Flur „Steinweg“ südwestlich vom Dorf wieder gut nachweisbar ist und noch im 19. Jahr­hundert als „Melchinger Weg“ bezeichnet wird. Scherben und Münzen aus römischer Zeit fand man bei der Lauchertquelle, ebenso in der Nähe der Kirche Gefäße, die vielleicht auch römisch waren. Beidesmal liegt der Fundort unmittelbar am Alblimes.

Um 260 n. Chr. zogen sich die Römer wieder über die Donau zurück, und in den folgenden Jahrhunderten nahmen die Alemannen unser Gebiet in Besitz. Sie ließen sich wahrscheinlich in weilerartigen Sied­lungen nieder, die sich heute noch durch die Endung -ingen klar von späteren Niederlassungen abheben. Die Namensform weist also das Dorf Melchingen dieser ältesten alemannischen Siedlungsschicht zu; es bestand schon Jahrhunderte, bevor es erstmals schriftlich erwähnt wird. Funde aus alemannischer Zeit (etwa aus einem Reihengräberfriedhof) liegen bis jetzt allerdings noch nicht vor.

Zum Schluß muß noch auf eine Wallanlage hingewiesen werden, die sich auf dem „Käpfle“, südwestlich vom Ort, befindet. Die Südwestecke der Anlage liegt genau auf dem höchsten Punkt des Berges (851 m). Von hier zieht sich ein durchschnittlich etwa ein Meter hoher Wall mit Graben in etwa 120 Schritt Länge mit leichter Biegung nach Osten bis an deil Steilabfall. Ein zweiter Wall verläuft in 70 Schritt Länge nach Norden und verliert sich dann im leicht abfallenden Gelände. Die nördliche Abgren­zung kann man nur noch ahnen, die östliche dürfte mit dem Steilrand zusammenfallen. Eine zeitliche Einordnung muß sich unter den gegebe­nen Umständen mit Vermutungen begnügen. Sollte sich herausstellen, daß der Wall einen Steinkern enthält, was durch herumliegende Steine wahrscheinlich gemacht wird, dann läge eine Zuordnung zum frühen Mittelalter nahe, und man müßte zum Vergleich etwa die „Heidenburg“ auf dem „Riedernberg“ zwischen Willmandingen und Talheim heran­ziehen. Auch der Zweck einer solchen Anlage liegt im Dunkeln. Sicher­lich aber hat bei der Auswahl des Platzes der nur 100 Meter weiter nordöstlich am Steilhang zutage tretende „Eschenrainbrunnen“ 2 eine Rolle gespielt. Ob auf der südlich anschließenden „Burghalde“ (die alten Melchinger sagen „ Burchhalde“) früher ebenfalls Wälle und Grä­ben waren, wie Zingeler/Laur 1896 berichten, wird schwer nachzuprüren sein, denn das Gelände ist überall durch ehemalige Bohnerzgruben gestört.

Mit einem Fragezeichen versehen muß man auch den Bericht, den Pfar­rer Maier aus Pfullingen 1918 von einer Wallanlage auf der „Buchhalde“ an der Grenze zwischen Melchinger und Stettener Markung gibt. Nach seiner Beschreibung liegen im Wald auf der Hochfläche nördlich der „Gamersteig“ vier Wälle hintereinander. Von diesen kann man heute allenfalls noch Spuren erkennen; auch läßt sich nur schwer ein sinn­voller Zusammenhang zwischen vier gleichlaufenden Wällen herstellen. Eine Wasserstelle ist aber auch hier durch den nicht allzuweit südwest­lich austretenden „Haubrunnen“ gegeben.

Daß Wälle und Gräben im Gelände nicht unbedingt auf vorgeschicht­liche Zeit zurückgehen müssen, sondern auch verhältnismäßig jung sein können, zeigt die Anlage, die im Flurbereich „Schanz“, nördlich des Beginns der „Talheimer Steige“ und bereits auf Talheimer Gemar­kung, nahe am Albrand zu sehen ist. Sie stammt aus dem Winter 1703/04, als im Verlauf des Spanischen Erfolgekriegs Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg die Albpässe durch die sogenannten „Alblinien“ gegen die von Süden heranrückenden französisch-bayerischen Truppen sperren ließ. Die Fortsetzung dieser Anlage ist u. a. deutlich zu sehen auf der Talheimer „Eichhalde“, auf Willmandinger Gemarkung am Weg zum „Bolberg“ und auf Salmendinger Gemarkung am Waldrand un­mittelbar links von der Steige nach Tal heim und an der Nordostecke des „Hartwaldes“.

1) Kraus, J. A.: Ringingen in der hohenzollerischen Geschichtsliteratur

In: Hohenz. Jh. 9 (1941-1949) 120-134, hier S.133

2) Nach der Melchinger Aussprache müßte man „Aschenrein“ schreiben, nicht ,,Eschenrain“, wie auf der Karte angegeben ist. ,,Asche“ bedeutet im Melchin­ger Dialekt „Asche“.